Erste Schritte

Mit Zweifeln geht es zum Schuhregal. Schon das Gefühl, nach Tagen und Wochen erstmals wieder im Laufschuh zu stehen, ist bei all der oft versicherten angenehmen Passform irgendwie seltsam.

Ich starre die New Balance Treter an. Minuten lang. Nichts passiert. Warum auch…

„Mal sehen, was die Füße nach der Abstinenz sagen, wenn ich sie anziehe“ denke ich mir.

Das Schnüren der Arbeitsgeräte fühlt sich falsch an. Es drückt am Rist, die Fersenkappe reibt an der Achillessehne und irgendwie stehe ich vorne an.

Sind meine Füße gewachsen? Die Schuhe geschrumpft? Muss ein Mix aus beidem sein. Auf jeden Fall trägt es nicht unbedingt zur Freude auf die ersten Schritte bei.

Die Türe hinter mir in die Angeln fallen gelassen geht es die Treppen des Stiegenhauses bergab. Drei Stockwerke trennen mich vom ersten Läufchen seit einiger Zeit.

Noch bevor ich die schwere Eisentüre aufstoße quälen mich viele Fragen: soll ich überhaupt schon wieder anfangen? Macht das jetzt in genau dem Moment Sinn? Ist mein Körper wieder bereit? Soll ich nicht lieber wieder hoch, raus aus den Schuhen und vor den Laptop an die Arbeit?

Das Erreichen der Türe bringt ein kurzfristiges, eher abruptes Ende meiner Gedankenwelt mit sich.

Im Gegensatz zu meinen „Pausetagen“ geht es dann jedoch nicht unverzüglich aus der Türe los mit der Bewegung – es muss ja noch das durch eine kleine Melodie angekündigte Verknüpfen meiner Uhr mit dem GPS-Satelliten abgewartet werden. „Ach, nur Flanierengehen ist doch irgendwie unkomplizierter“, denke ich mir.

Im Grunde genommen ist es ohnehin gerade zu lachhaft, beim ersten Lauf nach Verletzungs-Infekt-Bienenstichallergiereaktions-Pause gleich sich was vorzunehmen bzgl. Zeit, Distanz und Pace…

Wobei, in unserer Sportart geht es eben runtergebrochen nur um diese hard facts, oder?

„Christoph, lauf einfach los! Vielleicht hast du nach ein paar Minuten eh keinen Bock mehr weil es doch noch zwickt und zwackt im bald Ü30-Körper…“ – in der Sekunde die Melodie der Suunto-Uhr.

Na gut, dann halt doch los jetzt…

Die ersten Schritte sind eine mittlere Katastrophe. Bin das überhaupt ich, der da „läuft“? Und was machen meine Arme denn da? Schwingen die locker mit und versuchen sie sich verzweifelt in der städtischen Umgebung festzuhalten und die in der Pause sicher nicht leichter gewordenen Beine am Weiterlaufen zu hindern?

Ich lasse die ersten Meter hinter mir. Gefühl unverändert. Der Straßenverkehr der Wiener Innenstadt lenkt dann ein wenig ab – doch fördert die Umgebung nicht gerade das Lustgefühl mit seinem Grau-in-Grau.

Die ersten Kilometer sind geschafft, die Beine werden langsam lockerer. Der Schritt nähert sich Altbekanntem an, die Arme schwingen mittlerweile mit, um entgegenkommende Anzugträger in deren Mittagspause zu verscheuchen. Richtiges Rollen fühlt sich jedoch alles andere als so an.

Der bald-Ü30-Junge nähert sich dann alsbald einem kleinen Hügelchen, welches bei Normalform nicht einmal als eben solcher wahrgenommen werden würde.

Und schon geht sie richtig los, die Quälerei, bei nun bald 30° genau zur Mittagszeit. Auf Außenstehende wirke ich gerade wie einst die „tschechische Lokomotive“ Emil Zatopek schnaufend den Berg rauf laufen – wobei mein Tempo keinem ICE sondern eher einer Draisine gleicht, die noch dazu nur von einem einsamen Irren bedient wird, was sich negativ auf das Tempo auswirkt.

Sechs Jahre Lateinunterricht im Gymnasium rufen einen einzigen Gedanken zur Gesamtsituation meiner Pein hervor: quod erat demonstrandum. Warum sollte es auch nicht eine „schnaufende Quälerei“ sein…

Doch am „Gipfel“ angekommen wendet sich das Blatt dann plötzlich. Gestärkt durch den berühmten Wiener Westwind geht es mit schnellerem Schritte nach der Wende Richtung Wohnung zurück.

Mit von Stolz erfüllter Brust ob der bewältigten horse catégorie werden meine Schritte schneller und schneller. Mein Inneres Ich ist nun auf einmal zu Scherzen aufgelegt und zeigt das durch ein auf die Lippen gezeichnetes Lächeln. Wenige Meter später fühle ich, wie ich innerlich mich am Boden zu zerkugeln beginne ob der Tatsache, dass ich mich nun bremsen muss.

Die Geschwindigkeit meines Rückweges erfahre ich ob der an mir geradezu vorbeirauschenden von Kastanienbäumen gesäumten Allee.

All die Fragen und Zweifel sind wie vom Westwind verweht und werden durch kühnere Gedanken, wie etwa das Extendieren der zuvor ausgewählten Runde, ersetzt. Da die Vernunft jedoch rasch obsiegt biege ich scharf links ab und bezwinge den letzten Anstieg zurück Richtung Haustüre.

Die letzten Meter werden zum Genusslauf und verdeutlichen trotz immer noch deutlich spürbarem beschleunigten Herzschlag und schwerer Atmung eines: Gott habe ich diese Form der Fortbewegung vermisst!

Bei dem Mietshaus aus der Nachkriegszeit stoße ich erneut das schwere Eisentor auf, und begebe mich zum Stiegenhaus. Ich laufe die Stufen hoch, bis es in der Brust vor Anstrengung zu brennen beginnt.

In der Wohnung ziehe ich voll Freude über das in den gut 30 Minuten Abgelaufene meine Schuhe geradezu andächtig aus und platziere sie sachte im Schuhregal. Vor Schließen des selbigen drehe ich mich noch einmal um und formuliere einen ach so feinen Gedanken: „danke für die Begleitung, bis morgen dann!“

Oh mein Laufen, du hast mir wieder mal doch sehr gefehlt…

Über Christoph Sander

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