Zum ersten Mal seit 2013 entschied ich mich also zu einem Start bei den Titelkämpfen auf der Straße. Ich will ehrlich sein, dass auf der Meldeliste Titelverteidiger Andi Vojta sowie Marathon-Debütant Vali Pfeil samt seinem „Edelhasen“ Christian Steinhammer fehlten, kam mir nicht ungelegen und nährte auch die meine Hoffnungen auf eine – deutliche – Verbesserung meines bislang besten Resultates (Rang 7 2013) bei den Herren.
Da mein Trainingslager aber eher durchwachsen lief, und auch danach die Beine alles andere als frisch waren, war mein Selbstvertrauen nicht gerade groß. Die Tage vor der ÖM nutzte ich daher einmal, mich trotz eines zachen Abschlusstrainings stark zu reden. Für mich etwas ungewöhnlich ging ich auch die Startliste sehr genau durch – ich wollte einfach viele Unsicherheitsfaktoren ausschließen. Immerhin sah ich meine Form schon als größte Unbekannte an…
Die ruhigeren Trainingstage brachten mir zumindest subjektiv bessere „Haxen“ und die Vorfreude kam auch relativ früh. Die letzten Tage vor meiner ersten ÖM-Teilnahme 2016 verbrachte ich dann relativ entspannt mit und bei meiner Jenni. Das Auftakten am Wettkampfvortag auf ganz neuer Strecke mit ganz neuem Programm zum „Gefühl finden“ brachte zudem ein wenig mehr an Sicherheit und Zuversicht.
Am gestrigen Wettkampftag kam ich in gute Stimmung und beim Einlaufen kamen auch Erinnerungen an meine erste 10km-Meisterschaft hoch, die ich 2007 auf der exakt gleichen Stelle absolvierte. In meinem Kopf konnte ich die Strecke einigermaßen rekonstruieren – nach dem ersten Ablaufen saß sie dann wieder wie eingebrannt!
4 Runden à nicht ganz 2,5km galt es für uns zu absolvieren, wobei es einige male kurz ein paar Höhenmeter zu bewältigen galt und ein paar enge Kurven.
Vom Rennplan her war alles klar: ruhig beginnen, alle etwaigen Attacken kontrolliert abwehren und am Ende – wenn es sein muss am letzten Kilometer – zeigen, wer ob der Startliste Herr im Ring ist!
Der Startschuss fiel und aus der Mitte der ersten Reihe lief ich als erster los. Anders als gedacht und geplant war ich gleich mal 300m an der Spitze. Vom Gefühl her war es – zu meiner eigenen Freude – joggen! Im Nachhinein gesehen war die Pace zwar alles andere als schnell, aber es fühlte sich einfach super easy an!
Nach dem ersten längeren Anstieg ließ ich meine Mitstreiter gewähren und lief versetzt in der zweiten Reihe.
Kilometerzeiten beachtete ich nicht bzw. stoppte ich selbst nur die Gesamtzeit. Die einzelnen Durchgangszeiten waren mir heute völlig egal. Es war eben Meisterschaft. Und da zählt der Sieg. Mit welcher Taktik, mit welcher Zeit man gewinnt, ist sekundär – der Sieger hat am Ende einfach recht.
Die erste Runde ging relativ rasch vorbei und unsere Gruppe war noch sehr groß. Gleich nach dem Start-Ziel-Durchlauf attackierte Simon Lechleitner bei einer Bergaufpassage. Ich konnte unverzüglich folgen und ab jener Stelle, wo es wieder flacher wurde, hatte sich alles wieder beruhigt.
Die Führungsarbeit leisteten ab dann meist Simon und Seid Endris – ob des leichten Windes auf den langen Geraden achtete ich darauf, direkt hinter ihnen versteckt und kontrolliert zu laufen. So verging Runde zwei – bislang laut Zurufen alles im Schnitt um 3:10min/km.
Mit Fortdauer des Rennens wurde die Führungsgruppe immer kleiner, wobei die Pace meiner subjektiven Wahrnehmung nach nicht wirklich schneller wurde…
Seid und Simon versuchten immer häufiger, Akzente zu setzen, nutzten teilweise auch Überrundungsmanöver für kleinere Tempoeinlagen. In Summe hielten wir aber wohl den an diesem Tag für mich doch eher gemählichen 3:10er Schnitt.
Eingangs der letzten Runde waren wir laut Sprecher nur mehr zu dritt und es war Zeit, die richtigen karten auszuspielen. Im Gegensatz zu den Runden zuvor war ich es nun, der „hinauf“ zu Kilometer acht das Tempo anzog und die anderen beiden ein wenig testete.
Lösen konnte ich mich nicht, und irgendwie war es nun auch schon ein wenig zach bei mir. Plötzlich kam dieses Gefühl natürlich keineswegs, doch das Ausmaß wurde nach rund 8,3km immer höher.
Simon versuchte sich jetzt immer entschlossener zu lösen. Überrundungsmanöver machten es mir nicht leicht, wirklich dran zu bleiben. Während Seid mittlerweile riss, hatte ich erstmals richtig Mühe dem Tiroler zu folgen.
1,5km noch. „Komm jetzt, lauf wieder ganz ran“ schießt es mir ein.
Bei Kilometer neun bin ich wieder bei Simon, muss aber gleich wieder eine kleine Lücke reißen lassen.
Das Rennen steht nun für mich auf Messer’s Schneide – nicht wegen meinen Beinen, die rollen ja nach wie vor. Aber mental hadere ich. Immer wieder muss ich mir sagen „wenn du am Schluss dran bist, gehört er dir!“
Etwa zehn Meter Rückstand habe ich rund 600-700m vor dem Ziel. Hier steht mein Papa, ruft „du bist der Mittelstreckler von euch beiden“. Und plötzlich geht es wieder!
Ich forciere, verkürze den Schritt. Noch 3m hinten, jetzt nur noch 2m. Und wieder gleich auf.
„So, jetzt gehört er dir! 1-2min quälen und du bekommst, was du dir vorgenommen hast!“
Meine Schritte werden immer schneller, Simons laute Atmung immer leiser. Da ist er, der lange vergessene und nun dringend benötigte Mittelstreckenschritt eines Bahnläufers! Kraftvoll und doch immens anstrengend gegen den Wind.
200m noch. Die Lücke ist groß. Ich linse in ein langes Schaufenster und sehe… nichts! Da ist niemand! Simon ist weg – der Sieg bald mein.
Jetzt kann ich es genießen, 150m vor dem Ziel, wo nun die meisten Zuseher stehen, löst sich die Anspannung.
Die letzten 100m sind so schön! Kurze, schnelle Schritte. Arme in die Luft gestreckt – und da ist das Ding!
Mein 5. Titel bei den Herren, mein erster über 10km Straßenlauf!
Ich weiß diesen Titel einzuschätzen wie wohl kein anderen. Wer am Start war, wer nicht. Doch niemand fühlt, was ich seit Tagen, Wochen, Monaten und bald einem Jahr spüre. Mein Knie ist nicht in Ordnung. Es beschäftigt mich fast rund um die Uhr. So viel Kraft, die ich gerne für andere Dinge aufwenden möchte, geht ob der Patella-Geschichte in andere Bahnen.
Doch heute war für 31:21min alles gut. Mit dem Stehenbleiben und der Freude, kommt dieses ungute Gefühl leider auch zugleich für ein paar Minuten wieder. Egal, jetzt ist zumindest was die nationale Saison betrifft der Druck weg. Meinen obligaten Titelgewinn habe ich.
Nachdem ich meine Teamkollegen noch auf ihren letzten Meters ins Ziel anfeuere, will ich aber rasch aus dem Zielraum. Fotos und Gratulationen mache ich bzw. nehme ich entgegen. Doch ich will weg vom Ziel.
Der heutige Sieg ist auf einer ganz anderen emotionalen Ebene als die letzten drei meiner vier. Ich konnte mir selbst beweisen, dass ich in einem Meisterschaftsrennen aktuell körperlich und mental fighten kann – gleich was mein linkes Knie da für Störsignale aussendet.
Als ich dann noch Papa sehe und ihn seit langem wieder herzhaft umarme, kommen mir ehrlich gesagt sogar beinahe die Tränen…
Abgesehen von der im Prinzip auch wichtigsten Sache meines Lebens, läuft momentan vieles nahezu permanent rauf und runter. Psychisch und daher in weiterer Folge auch physisch ist die Gesamtsituation aufgrund vieler Faktoren momentan für mich echt hart. Umso mehr, genieße ich alles, was an diesem Tag dann noch folgen sollte.
Die Siegerehrung dauert gefühlt ewig, vier Mal geht es für mich auf das Podium, da ja auch die Wiener Landesmeisterschaften ausgetragen wurden.
Am Ende brachte ich somit gleich vier Medaillen mit nach Hause:
- 1. Platz ÖM 10km Straßenlauf
- 3. Platz ÖM 10km Team mit Roland und Patrick
- 1. Platz Wiener Meisterschaften 10km Straßenlauf
- 1. Platz Wiener Meisterschaften 10km Team
Aber viel wichtiger war, ein für mich selbst seit langem wieder echt schönes Rennen abgeliefert zu haben! Fernab von Splits, auf die Uhr sehen und Druck von hier und da. Einfach laufen, wachsam und entschlossen. Einfach laufen. Einfach Spaß haben.
Ich hoffe, dies auch bei den nächsten Rennen zu schaffen und freue mich nun riesig auf die nächsten Wochen, wo ich mehrmals über meine geliebten Böcke laufen darf! Denn im Grunde genommen, muss ich es immer noch als Glücksfalls ansehen, nach wie vor von Hindernisrennen 2016 träumen zu können!