Alter Schwede

Seit meinem Debakel von Dessau wollte ich unbedingt zeigen, dass Oordegem alles andere als eine einmalige Sache war! Das Training lief wie beschrieben halbwegs gut und zumindest die Tempoeinheiten über die Böcke gelangen abgesehen von einer Schlüsseleinheit recht gut.

Ich bekam von Manager Alfons Juck – Danke an dieser Stelle! – einen Startplatz beim IAAF Meeting in Luzern, am Dienstag nach den am Freitag stattfindenden Staatsmeisterschaften in Aussicht gestellt. Das Rennen beim „Spitzenleichtathletik Luzern“ sollte sehr flott gepaced werden, weswegen ich mich in weiterer Folge für den Start im schwedischen Karlstad entschied – zumal ich auch einen Tag mehr Regeneration nach den Meisterschaften haben würde und das Feld besser passen sollte.

Somit ging es am Dienstag, 15. Juli, nach Stockholm und von dort weiter mit dem Shuttle in die schwedische Kleinstadt. Mit dabei war mein dieses Jahr besonders zum Reisen aufgelegter Vater und Coach Karl. Schon am Wettkampfvortag versuchte ich mich voll zu fokussieren, mein Aktieveren verlief sehr zufriedenstellend und auch der Besuch der Hammerwurf Challenge im Stadtzentrum über den größten Fluss Schwedens verbreitete positive Stimmung.

Ein Blick auf die Startliste zeigte mir auch, dass die Entscheidung in Schweden zu starten, die richtige war. Mit meiner Bestleistung hatte ich im 15 Mann starken Feld gleich viele Läufer vor mir wie hinter mir. Die Tempovorgabe waren an der Spitze 2:50min für den ersten Kilometer sowie eine Durchgangszeit von 5:43min für die 2km-Marke.

Je näher das Rennen rückte, desto nervöser wurde ich und spätestens als wir im mit rund 5.000 Besuchern vollen Stadion ankamen, war die Anspannung groß! Die Bedingungen waren im Großen und Ganzen gut, wenn auch sehr heftiger Wind auf der Gegengerade herrschte.

gefüllte Tribünen in Karlstad
gefüllte Tribünen in Karlstad

Die Rennvorbereitung glich dann vom Charakter her einem internationalen Meisterschaftsrennen: frühes Aufwärmen gefolgt von langem Sitzen im Call-Room. Dann Athletenpräsentation und kein Überquerung der bereits aufgestellten Böcke im Stadion.

Da sich der Wassergraben außen und nicht im Innenbereich der Kurve befindet, geht es bereits nach 100m über das erste Hindernis. Nach dem Schuss ornde ich mich gut ein, habe ein gute Position im Feld. Die ersten beiden Böcke sehe ich nicht, die Überquerung ist daher eher mäßig. Dann auch schon der erste Wassergraben.

Karl ruft die Zwischenzeit rein – mit 68sec liege ich voll im Soll!

Jetzt kommt dann bald wieder die Gegengerade. Das Feld zieht sich durch den Wind schon auseinander. Ich muss aufpassen, den Anschluss nicht zu verlieren.

Zweiter Wassergraben im Kenya-Style. Ich reiße langsam ab.

2:57min höre ich für Kilometer eins nach dem Hindernis auf der Gegengerade. Die Durchgangszeit schon langsam für das Unterfangen pB und sub 8:45min!

Egal, dran bleiben. Das geht noch hinten raus.

Gegen den Wind tue ich mir aber schwer und nach gut drei Runden passiert dasselbe wie in Dessau. Ich komme nicht nach. Ich komme nicht in den Kampfmodus. Die Schritte werden kürzer, die Rundenzeiten deutlich langsamer.

Im Prinzip haben nur die ersten 600m gepasst, schon die Runde hin zum ersten Kilometer war zu langsam!

Ab jetzt ist es aus. Ich kann einfach nicht kämpfen. Laufe meinen Stiefel runter.

Einziges Ziel ist, ins Ziel zu kommen und den ernüchternden Auftritt zu beenden.

Die zwei Kilometer passierte ich in 6:06min – am Ende stehen dann 9:17,05min und der noch bedeutungslosere elfte Rang zu buche.

Ich habe fertig! Keine Kraft mehr. Kann meinen Körper einfach nicht länger überlisten.

Ausgelaufen wird nicht mehr, die Saison ist vorbei! Der Entschluss dazu reifte bereits am zweiten Kilometer, wo sich die Gedanken eigentlich um ganz andere Dinge drehen sollten.

Beim Weg heim zum Hotel herrscht Ratlosigkeit, Zorn, Trauer, Fassungslosigkeit und noch mehr Trauer.

Was sich im Grunde genommen seit Mai abgezeichnet hat, ist eben nun doch ur plötzlich Realität.

Mein Körper kann nicht mehr!

Mit Willen und teilweise auch Schmerzmitteln bzw. der einmaligen Spritze versuchte ich ihn zu lange davon zu überzeugen, dass es trotzdem funktioniert. Das ich weiter machen kann. Meine Bestleistung noch einmal drücken und meinem Traum ein Stück näher kommen kann.

Ein Irrglaube. Vor mehr als 5.000 fantastischen Zuschauern zeigte mir mein Körper und mein Geist die Grenzen des momentan Machbaren auf!

Vor und während des Rennens hatte ich aufgrund der Voltaren-Einnahme keinerlei Schmerzen, doch es sind einfach nicht mehr nur die physischen Beschwerden, die keine sportliche Höchstleistung mehr zulassen.

Im Training bin ich oft an den Punkt gekommen, wo der Schmerz unerträglich wurde, ich Läufe mit Tränen in den Augen startete und die Tage nach der Belastung beim Treppensteigen Probleme hatte. Weder in Dessau noch in Karlstad hatte ich im Rennen den physischen Schmerz, was fehlte, war einfach die mentale Komponente.

Ich habe gesehen, dass mir vom Kopf her die Kraft gefehlt hat, nach all dem physischem Schmerz die im Wettkampf stärker werdende körperliche Beanspruchung wegzustecken. Meinen Schweinehund zum Vorschein zu rufen. Den „Beast-mode“ abzurufen.

Es hat sich bei längeren Intervallen bereits abgezeichnet, dass ich vom Kopf einfach leer bin.

Deshalb nun der Schritt, der so schmerzhafte und mit viel Trauer verbundene Schritt, die Laufschuhe in die Ecke zu stellen.

Zu regenerieren. Kraft zu finden. Die Probleme in den Griff zu bekommen – wahrscheinlich sogar mittels operativen Eingriff.

Die Tatsache, des Problems Ursprung nur mittels einer OP lösen zu können, geistert seit Ende Mai in meinem Kopf herum.

Ich denke, jetzt ist es Zeit, sich dem kreisenden Damoklesschwert Operation anzunähern und die nächsten Schritte einzuleiten. Wenn die Sache dann abgeklärt ist, die OP fixiert ist, dann wird hoffentlich auch dieser Schmerz vergehen. Nicht nur der physische, mit dem ich nun schon lange Kämpfe, sondern der psychische.

So groß waren die Ziele dieses Jahr. Team-EM-Teilnahme – wird wieder kommen! Cross-EM-Quali über die Bahn – dann halt wieder über Crossläufe im November. Freiluft-Europameisterschaft – nächste Chance 2016 in Amsterdam.

Es kommen also neue Ziele – hoffentlich…

Nein, es kommen neue! In Wahrheit sind sie schon gesteckt! Und der größte Traum meines Lebens ist ohnehin noch Jahre nicht ausgeträumt! Und schon gar nicht raus aus meinem Kopf!

Bezüglich weiterem Verlauf meines Sommers halte ich Euch auf dem Laufenden – eine Saison-Analyse wird es auch geben. Aber erst dann, wenn ich bei der Reflexion zumindest keine Tränen mehr fließen und ich beim Gedanken an das eine oder andere Rennen wieder lächeln kann.

Bis dahin, danke allen LeserInnen, Fans, PartnerInnen und Sponsoren für Eure Unterstützung!

Über Christoph Sander

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