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(…) – Christoph Sander

(…)

Es ist 23:13 Uhr local time. 10 Grad Außentemperatur. Ein laues Lüftchen gepaart mit kleinen Böen hällt sich vehement den ganzen Tag schon im Stadion. Ein lauter Knall durchdringt die sonst schon ruhige Stimmung im kleinen Stadion mitten im Nirgendwo von Flandern. Es ist der Startschuss. Der gefühlte 100. des Tages – immerhin läuft, spring und wirft das IFAM bereits seit 12:30 Uhr local time. Bei rund 10 Grad Außentemperatur. Und bei einem ständig wehenden Lüftchen gepaart mit heftigen Windböen.
Der Startschuss galt meinem Rennen. Mit rund 20 anderen Athleten aus West-Europa rangel ich mich die ersten 100m lang. Erste Runde rum. Mitten im Feld in 64“ und schon ordentlich was abbekommen. Die Beine sind schwer, mein Körper nicht auf Normaltemperatur. 500 in vermutlich 80“ passiert – immerhin konsequent auf Bahn 2 – die Innenbahn bleibt mir durch weniger ausgeprägte und trainierte Ellbogentechnik verwehrt. Dabei wäre ich so gerne dort, um auszusteigen. Nach 800m in 2:08′ ist endgültig die Lust dahin. Doch immer noch auf Bahn 2 und Position 8-12 laufend, kann ich nicht raus. Innen sind’s die Konkurrenten, außen die doch wieder in Erscheinung tretenden Zuschauer. Na gut, dann eben weiter. Immer weiter und weiter – das Motto des Tages! 1000m in ca. 2:39′ – vielleicht geht ja jetzt noch was. Aber immer noch – Beine schwer wie Blei, einfach nicht richtig warm und der Kopf hat vor zwei Stunden w.o. gegeben. Von 1200-1400m läuft’s dann zumindest von außen gut, ich kassiere ein paar Läufer ein. Doch jeder der einkassiert wurde, revanchierte sich auf der Zielgeraden. Und dann gingen noch ein paar mehr auf den Außenbahnen vorbei. Am Ende zeigte die Uhr 3:59,15′ für mich.
Doch halt!
Wieso ist denn nach 1500m Schluss?
Und wo waren da jetzt eigentlich die ganzen Hindernisse geblieben?!
Ach ja, die gab’s nicht! Beziehungsweise gab es die sehr wohl, da ja unter anderem Frau Schlumpf aus der Schweiz um 21:30 Uhr (local time) schweizer Rekord und WM-Limit gelaufen ist! Bei 10 Grad Außentemperatur und – erraten – einem lauen Lüftchen mit ein paar Böen dazwischen. Der im Anschluss an die Frauen-Steeple geplante Hindernislauf der Männer, MEIN Hindernislauf der Männer, wurde jedoch gestrichen! Gecancelt! Ersatzlos! Kein Witz!

Oder doch?

Rund 20 Männer aus West-Europa und Afrika stehen mit 20 Minuten Verspätung an der Startlinie. Dann schreitet eine zierliche Dame mit Clipboard bewaffnet vor die in den Löchern scharenden Athleten und sagt kurz und knapp „men’s steeplechase is canceled“! Alles blickt sich um, jeder scheint nach der versteckten Kamera zu suchen. Naja, vielleicht gibt’s die ja beim rund 60m vom Start entfernten Wassergraben, schließlich stehen da rund 20 Leute herum. Ein paar unhöfliche Fragen von teils absoluten Europaklasse-Athleten später, läuft das gesamte Feld zum Graben. Der sei nach Auskunft der in gelbgekleideten Herren des Veranstalters „broken“. Denk ich mir, „gibt’s doch nicht!“ – haben die auf der Sportuni in Wien auch gemeint und in Wahrheit war dort ja auch alles in Ordnung. Doch siehe da, der Balken war tatsächlich hin. Naja, nicht direkt der Balken, aber die gesamte Verankerung. Er wackelte wie Ivan Drago in der 14. Runde beim jüngst wieder gesehenen Film „Rocky IV“, fiel jedoch nicht wie der Russe in der 15. und letzten Runde um. Ein Draufsteigen auf den Balken war dennoch nicht mehr möglich – schon gar nicht von 20 Athleten ein Mal pro Runde, derer es ja sieben gewesen wären.

Na gut, denken sich halt alle Athleten, da werden die den halt ersetzen. Aber nix da! Kein Ersatz! Keine Möglichkeit, den Balken zu reparieren – ja nicht einmal ihn zu stabilisieren, dass er rund 140 kräftigte Abdrücke zum Überqueren des Wassers aushalten würde.

Und weil keine Reparatur, kein Rennen. Und weil kein Rennen, keine Normen. Keine Bestleistungen. Keine Europacup-Empfehlung. Und weil kein Rennen, keine Limits und keine Bestleistungen, maximaler Frust, Zorn, Fassungslosigkeit, Irrglaube etc.

Damit wir Hindernisläufer dennoch nicht umsonst kamen, wurde an Stelle des Steeplerennens ein 5000er durchgeführt, an dem aber nicht alle teilnahmen. So auch ich. Nach einer Phase des Haderns ließ ich mich für 1500m nachmelden. Die 5000m wären nach dem Spitzenlauf von Koblenz und in Hinblick auf die  kommenden – und hoffentlich stattfindenden – Aufgaben der nächsten Wochen nicht sinnvoll. Nicht besonders sinnvoll war dann leider auch der 1500m Lauf. Aber gut, wenn man um 20:30 Uhr (local time usw.) mit dem Aufwärmen startet, und dann statt um 21:30 Uhr 3000m Hindernis um 23:13 Uhr 1500m läuft, ist die Gesamtsituation nicht gerade leistungsfördernd. Dennoch wollte ich den Lauf zur Frustbewältigung und der vermeintlichen Bestleistungsjagd nutzen – aber wie eingangs beschrieben war beides von geringem Erfolg.

Zurück noch einmal zum Moment der Absage des Bewerbs: nur schwer lässt sich beschreiben, was in diesem Moment in mir und den anderen Hindernisläufern so vorging. Da nimmt man in der Wettkampfwoche raus, bereitet sich körperlich und vor allem mental auf so ein doch sehr wichtiges Rennen vor, nimmt Reisekosten wie -strapazen auf sich, und dann wird einem die Chance genommen, zu zeigen was in einem steckt und da endlich raus will.

Rauslassen werde ich es nun in Regensburg bei der Sparkassen-Gala (müssen). Wie jedes Jahr stellt das German Meeting somit meine erste und wohl einzige Chance auf ein vernünftiges Steeplerennen dar. Wollen wir nur hoffen, dass ich das gesamte Pech für diese Saison nun verbraucht habe, und ich dort endlich zeigen kann, wofür ich mich die letzten Wochen so geschunden habe! Und wehe, es springt mir dann nach 500m wieder einer in mein Wadl! Denn dann kann ich für nicht mehr viel garantieren…

Schon heute kann ich Euch dafür ein „das gibt’s doch nicht!“ garantieren. Denn die Pointe der ganzen Geschichte ist der Grund für den ruinierten Hindernisbalken: Im Damenrennen lief eine geschätzt 50-55kg leichte Athletin beim ersten Wassergraben gegen den Balken und riss diesen förmlich aus seinem Fundament und brachte ihn so zum Schwanken! Kein Witz – leider Realität!

Ich hoffe, meine Story hat Euch jetzt ein wenig den Sonntagnachmittag versüßt – mir hat das Verfassen jedenfalls die Wartezeit am Flughafen am Weg nach Wien verkürzt. Und zur Frustbewältigung war’s ebenfalls ganz gut! Danke im Übrigen noch allen, die gestern an mich dachten, die Daumen drückten und dann von mir über den Ausgang meines Abenteuers im Unklaren gelassen wurden! Tut mir leid dafür, aber ich denke es gelten mildernde Umstände – so wie auch die Unschuldsvermutung für die Balkenzerstörerin und die Veranstalter…

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